Zu sehen vom 1. – 31. Juli 2019
Pizzagate: From Rumor to Delusion (dt.: Pizzagate: Von Gerüchten zu Wahnvorstellungen) verwendet nichtlineare Desktop-Videobearbeitungstechniken, um eine diegetische Nacherzählung der Ereignisse rund um „Pizzagate" zu erstellen – der gefälschten Nachrichtengeschichte (‚fake news'), die gegen Ende des Präsidentschaftswahlkampfes zwischen Hillary Clinton und Donald Trump 2016 in Umlauf gebracht wurde. Mit ihrem Wahlkampfleiter John Podesta und anderen Mitgliedern ihres Teams sollte Clinton angeblich daran beteiligt gewesen sein, einen Kinderpornographie-Ring aus dem Keller der Comet Ping Pong Pizzeria in der Connecticut Avenue in Washington D.C. zu betreiben. So absurd diese Geschichte auch war, viele Leute glaubten daran. Eine solche Person war Edgar Welch, ein junger Mann aus North Carolina, der fest davon überzeugt war, dass die Geschichte stimmte. So sehr, dass sich gezwungen sah, in die US-amerikanische Hauptstadt zu fahren, um die dort eingesperrten misshandelten Mädchen zu retten. Als er ankam, schoss er mit einem Sturmgewehr in das Restaurant – und verletzte dabei glücklicherweise niemanden. Was als Gerücht auf schwarzen Brettern wie 4chan und Reddit begann, eskalierte zu einer ausgewachsenen Wahnvorstellung, die schließlich sein bizarres Verhalten auslöste. Das ist der Subtext der Arbeit.
Außerdem schneidet diese postkinematische Arbeit Internet-Downloads aus einer Vielzahl von Quellen wie Newsfeeds, Talkshows, rechtsgerichteten Websites mit aktuellem Filmmaterial zusammen, das der Künstler mit speziellen Spionagekameras in besagtem Restaurant aufgenommen hat. Der Laptop-Bildschirm dient dabei als grafisches Interface, auf dem die unterschiedlichsten Informations-Fenster umeinander herumtanzen. Dieser Tanz ahmt die verschlungenen und disruptiven Formen der Visualität nach, die wir in unser Verständnis des neuen Weltbildes integrieren müssen. Die Arbeit stützt sich stark auf die Ideen und Techniken von Harun Farocki, Michael Snow und Dziga Vertov, während sie diese gleichzeitig für das 21. Jahrhundert weiterentwickelt. (WN)
Warren Neidich ist ein interdisziplinärer Künstler, dessen textbasierte Installationen mit Video, Neon, Grafik und Performance die Auseinandersetzungen über die Beziehung zwischen neuen Technologien und dem sozialen Gehirn herausarbeiten. Im Jahr 2015 gründete er das Saas-Fee Summer Institute of Art, NYC und Berlin. Ausstellungen u.a. Biennale von Venedig, Whitney Museum of American Art, LACMA, The Walker Art Center und MoMA, PS1. Aktuelle Bücher u.a. gehören The Psychopathologies of Cognitive Capitalism Part 1, 2 and 3 und The Glossary of Cognitive Activism. Er ist Träger des Vilem Flusser Theory Award der transmediale, des AHRB/ACE Arts and Science Research Fellowship, Bristol, und des Fulbright Scholarship. Er war Dozent am Goldsmiths College, London und an der Kunsthochschule Weissensee, Berlin.