Vika Kirchenbauer: Untitled Sequence of Gaps

HMKV Video des Monats

Bild: Vika Kirchenbauer, Untitled Sequence of Gaps, 2020, Videostill. © Vika Kirchenbauer & VG Bild-Kunst Bonn, 2020.

Das nicht sichtbare Lichtspektrum – das, was gefühlt, aber nie gesehen wird – wird in diesem, aus kurzen Vignetten unterschiedlicher Technik und Materialität komponierten Essayfilm zum Mittel der Annäherung an traumabedingten Gedächtnisverlust. Gewalt und ihre Mechanismen, Klasse und Queerness werden dabei nicht mittels Repräsentation, sondern von innen heraus betrachtet.

Die Videoarbeit verbindet planetarische Makroperspektiven, physikalische Phänomene und individuelle Berichte über affektive Subjektbildung. Sein Bilderstrom wird durch Lücken unterbrochen, die nicht weniger bedeutsam sind als die Bilder selbst. Filmmaterial, in dem das kollektive Gedächtnis für persönliche Erinnerungen einsteht, steht neben Sequenzen, die durch Infrarot- Bildgebung, unter ultraviolettem Licht oder Mikrowellenstrahlung aufgenommen wurden. Was sind die Auswirkungen des Unsichtbaren und die Macht, die der Verschiebung von Gewalt über die Sichtbarkeit hinaus innewohnt? Wie gestalten digitale Archive und Technologien das Verhältnis zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Geister tauchen aus Löchern auf, die eine erinnerungslose Kindheit in die Zeit gerissen hat, und Sichtbarkeitspolitiken werden anhand eines Hexenverbrennungsrituals im Heimatdorf der Künstlerin hinterfragt.  

Vorgeschlagen von Niklas Goldbach, im Rahmen seiner Einzelausstellung The Paradise Machine im HMKV Hartware MedienKunstVerein im Dortmunder U, Ebene 3 (bis 1. September 2024).

 

„In dem Dorf, in dem ich als Jugendlicher einige Jahre leben musste, trugen die Hexen und Hexer keine Kostüme und Masken, und waren weithin sichtbar. Öffentliche Feuer waren auf das Trinkgelage am Ostersonntag beschränkt, und von queeren Personen, geschweige denn Verwandten, war bis zum Horizont der gerasterten Agrar-Landschaft nichts zu sehen, aus der nur die Rapsfelder leuchtend und fast versöhnlich hervorstachen, so gelb wie die Sonne.

Die Stimme Vika Kirchenbauers berichtet in UNTITLED SEQUENCE OF GAPS (2020) anekdotenhaft und gefasst über ihr Aufwachsen und datiert das Einsetzen ihrer Erinnerung mit sieben Jahren, die Einschulung begleitend. Davor keine Bilder, danach meist nur isolierte Erinnerungen. Abwesenheit kann nicht repräsentiert werden.

Die fliegengitterartige Struktur des Mikrowellenfensters, mit der Kirchenbauer die Arbeit beginnen lässt, wird zur Matrix der Geschlechterverhältnisse. Klebriges Popcorn - Allein zu Haus. Kindheit als Phantasie für Erwachsene.

Unweigerlich forscht man bei sich selbst, und fragt sich, welche Bilder der eigenen schwulen Kindheit man schmerzhaft überschrieben, welche Gewalt man in die Schattenzonen der Erinnerung verbannt hat... von Löschen kann keine Rede sein, denn „was gelöscht ist, kehrt gelegentlich als Geist zurück”.

Erneutes und solidarisches Auflodern meiner Empathie bei der Erwähnung von Ferienjobs in Fabriken und der Infragestellung der eigenen Leistungs- und Anpassungsfähigkeit, dem Nachdenken über das eigene Geworden-Sein. Nichts kann so schwierig sein wie einfache Verhältnisse.

Eine Tante, so wird gegen Ende lakonisch berichtet, verwandelte ihre (queere) Verwundbarkeit in Selbstachtung und Respekt — und begab sich so in ein anderes Lichtspektrum, aus dem sie der Künstlerin hoffentlich als Vorbild dienen konnte, leuchtend und weithin sichtbar, radikal ultraviolett." – Niklas Goldbach

 

Vika Kirchenbauer

Vika Kirchenbauer ist eine in Berlin lebende Künstlerin, Autorin und Musikproduzentin. Mit besonderem Fokus auf affektive Subjektbildung untersucht sie die sichtbaren und unsichtbaren Erscheinungsformen von Gewalt, und reflektiert dabei die Umstände, unter denen Subjekte in gesellschaftliche Machtstrukturen verwickelt und innerhalb dieser situiert sind. In umfassenden Einzelausstellungen wurde Kirchenbauers Arbeit im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf; sowie im Kunstverein Kevin Space, Wien; präsentiert. Ihre Videos und Installationen wurden in Gruppenausstellungen und Screenings u. a. im Tainan Art Museum, Taiwan, in der Whitechapel Gallery, London, in der Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen, bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, beim New York Film Festival und beim Toronto International Film Festival gezeigt. Bei Mousse Publishing ist ihre erste Monografie erschienen, die Essays und Arbeiten aus den letzten zehn Jahren ihrer Praxis vereint. Seit 2022 ist sie Professorin für Freie Kunst / Grundlehre mit Schwerpunkt Film/Video an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

Vika Kirchenbauer

Untitled Sequence of Gaps

2020, Video, 12:31 Min., Farbe, Ton. Courtesy of the artist

In der Serie „HMKV Video des Monats“ stellt der HMKV im monatlichen Wechsel aktuelle Videoarbeiten internationaler Künstler*innen vor.

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