Catsou Roberts: Spatial Drive
Vom leeren Raum zu sprechen heißt, die Konstruktion der Leere selbst zu verleugnen. Wenn nicht Symptom des Verlustes, kann Leere eine Strategie der Herausforderung sein. Statt zum bloßen Nichts wird sie zu einer Bühne, die es zu füllen gilt - mit Kontemplation, Begehren oder mit der eigenen Anwesenheit.
Die Implikation von Anwesenheit hat für die Operationsfelder zeitgenössischer Kunst zunehmend an Bedeutung gewonnen. Duchamp hatte schon früh erklärt, dass der Ort ästhetischer Erfahrung nicht notwendigerweise auf das autonome Objekt beschränkt sei. Er bestand darauf, dass dieser ebenso in dem die Arbeit oder den Betrachter umgebenden Raum existieren könne. Dennoch wurde die Überschneidung von Zeit, Raum und Betrachter erst in den späten 60er Jahren mit dem Minimalismus zur treibenden Kraft künstlerischer Praxis. Im Bewegen um die stummen, unerbittlichen Objekte des Minimalismus, wurde der Betrachter gezwungen, den Raum - die Situation - um die Skulpturen herum zu erforschen und dabei ein Bewusstsein für den eigenen physischen Körper im Verhältnis zum Kunstwerk zu entwickeln. Und in der Tat, während das Vermächtnis des Minimalismus und dessen phänomenologisch definierten Betrachter darin bestand, der Zeit und dem Raum eine Rolle beim Lesen des Werkes nach dessen materieller Vollendung zuzugestehen, wurden in der dem Minimalismus folgenden Kunst, Zeit und Raum oft selbst sowohl zum Inhalt der Arbeit als auch zum Material, aus dem diese gemacht war. Seit Michael Frieds Negation der Anwesenheit - als Nebeneffekt von Dauer (und im Unterschied zu seinem wohlwollenden Anwesend-Sein) - hat die Option, den Betrachter innerhalb von räumlichen, wie von zeitlichen Situationen zu inszenieren, Künstler gereizt.
Leer/Räume: Nothing But Space zeigt mehrere Arbeiten, die den Betrachter in das Zentrum des Werkes rücken und dabei seine Anwesenheit, die als stationäre oder bewegliche Entität unentbehrlich für die Arbeit ist, mit einbeziehen. Diese Arbeiten betonen Erfahrung als Bedingung von Kunst, indem sie die Konfrontation des Betrachters mit entweder dem physischen Raum des Werkes oder der Wahrnehmung von Raum berücksichtigen. Was diese Arbeiten verbindet ist die Tatsache, dass sie, trotz eines skulpturspezifischen, räumlichen Interesses (Skulptur der dreidimensionalen Spielart, wohlgemerkt) und des Bemühens, skulpturale Environments zu schaffen, selbst so gut wie keine Materialität besitzen. Stattdessen bestehen sie hauptsächlich aus projiziertem Licht und Raum - und reichlich Platz für die eigenen Projektionen des Betrachters.
Aus der Tradition des Postminimalismus heraus hat Ann Lislegaard begriffen, dass Raum niemals nichts ist. Und wie viele experimentelle Videoarbeiten der späten 60er Jahre (etwa Naumans "Two Balls between the Floor" und "Ceiling with Changing Rhythms", "Bouncing in the Corner" oder "Slow Angle Walk") nutzt Lislegaard die am einfachsten verfügbaren Materialien, das Atelier und den eigenen Körper, um Fragen im Zusammenhang mit Wahrnehmung, Körper und Architektur aufzuwerfen. In ihrer Videoinstallation für zwei Projektoren, "Nothing But Space", löst sich der statische White Cube in Flüssigkeit auf. Das Nichts ihres Titels entpuppt sich als ebenso dicht und desorientierend wie Nebel; in dieser Schwindel erregenden Passage wird der Betrachter zum Augenzeugen eines Parallel-Raumes, der sich immer wieder mit sich selbst vermischt. Dieser andere, nur dem Blick zugängliche Raum enthält entfernt bekannte Objekte - einen Stuhl, einen Tisch - alles ehemalige Bewohner der materiellen Welt. Aber sobald der Betrachter versucht, diese Objekte visuell zu fassen, deformieren und zersetzen sie sich. Das Auftauchen einer menschlichen Figur ist für die Verankerung des Betrachters im verlässlichen, konkreten Raum wenig hilfreich; wie die Objekte so wird auch die Figur aufgelöst und verschlungen, während die Kamera der Künstlerin in einem endlosen Zyklus von Erscheinen und Sich-Auflösen ihr Atelier umzingelt.
Auf ähnliche Weise löst Eva Koch ein destabilisierendes Gefühl beim Betrachter aus, der einer gnadenlosen Welle von entgegenkommenden Gesichtern ausgesetzt ist. Aber anders als in Lislegaards Installation, in welcher der Raum gedoppelt ist, wird er hier unterminiert, da der Betrachter auf ein wahres Gedränge von Menschheit stößt. Die Attake der Menschenmassen dreier Ecken des Globus - Hong Kong, Bombay und Jerusalem - dringt bis in unser eigenes, persönliches Raumempfinden ein, da wir einer öffentlichen Situation ausgesetzt werden, die bedrohlich, zumindest fremd ist. Das erbarmungslose Wiederholen der Videoloops wird bedrückend; der innerhalb der drei Projektionen gefangene Betrachter wird von allen Seiten angegangen. Im Fokussieren der Massen versuchen wir vergeblich, ein einzelnes Gesicht festzuhalten, ein Individuum einzufordern oder auszumachen (ein allzu menschlicher Instinkt), während sie vorwärts marschieren, an Größe stetig zunehmend, schließlich monumentale Proportionen erreichend, bevor sie zu einem Syrup aus Fleisch und Subjektivität verschmelzen. Dahingegen läuft die eigene, körperliche Anwesenheit des Betrachters, registriert als ein vom Videoprojektor geworfener Schatten, auf eine vertraute, wenn auch abstrahierte Figur hinaus.
"Grenaaroad" von Hanne Nielsen & Birgit Johnsen führt einen Raum vor, der durch den Körper der Kamera führenden Künstlerinnen definiert wird. Die Kamera funktioniert als verlängertes Auge, das sich auf einer vorgegebenen Bahn bewegt; vom Boden direkt unter der Kamera richtet sie sich auf bis zur entferntesten visuellen Reichweite eines tiefen, blauen Himmels. Stumm gleitet der Blick beständig auf und ab, mit Ausnahme einer regelmäßigen Unterbrechung, sobald die Kamera Augenhöhe erreicht und auf der horizontalen Achse einer Strasse anhält. In diesem Moment wird die meditative Ruhe des sanften Kamerarhythmus vom schrillen Lärm des rasenden Verkehrs, der eine horizontale Linie durch das Bild schneidet, durchbrochen. Zehn Sekunden später nimmt die Kamera ihre stille Reise, entweder aufwärts oder abwärts, wieder auf. Die Art, wie der Kamera ein Vertikalschwenk aufgezwungen wird, erinnert an Michael Snows Perpetuum-Mobile-Film, <---> von 1968-69, wo die auf einem Schwenkmotor befestigte Kamera das Bild 52 Minuten lang in einer strikt horizontale Bewegung gefangen hält. In "Grenaaroad" wird jedoch keine ununterbrochene Realzeit gezeigt. Da die Arbeit als Loop präsentiert wird, schließt sie jedes unerwartete Ereignis aus, das ins Bild eindringen könnte - wie z.B. ein gelegentlicher Passant, der durch Snows Film schlendert. Trotz aller Vorhersehbarkeit von "Grenaaroad" wird der Betrachter immer wieder, sobald die Kamera die horizontale Achse der Straße erreicht, von den plötzlichen Lärmausbrüchen überrollt. Schließlich ergibt er sich jedoch dem Muster der Unterbrechung und wird in einen Zyklus von Warten und Erwarten hineingezogen.
Das psychologische Gefangen-Sein in der Arbeit von Nielsen und Johnsen wird in "Suspension" von Torben Christensen noch gesteigert. Wo die Projektionen von Lislegaard, Koch und Nielsen & Johnsen Strategien der Wiederholung nutzen, bedient sich "Suspension" einer ununterbrochen andauernden Struktur. Der Betrachter wird hier mit zwei scheinbar statischen Feldern konfrontiert: einer blauen Fläche und dem Bild eines schlafenden Mädchens in einem kleinen, grauen und öden Raum. Dieses Bild erscheint wie ein Standbild, ist aber tatsächlich ein Video des Mädchens, das in Realzeit aufgenommen wurde und so vom Live-Bild wieder zum Standbild zurückführt. Die Reglosigkeit der Figur wird nur unterbrochen, indem sie sich gelegentlich im Schlaf bewegt und dabei eine teilnahmsvolle Reaktion - eine Art Körperreaktion - beim Betrachter auslöst, der zugleich in eine voyeuristische Position versetzt wird, in der er das Mädchen wie ein träges Versuchsobjekt in dem leicht klinischen Setting beobachtet.
Schwankend zwischen der Identifikation mit und der Objektivierung des Mädchens, ist der Betrachter trotz der Monotonie des Bildes rasch mit der Möglichkeit einer potentiellen Handlung beschäftigt. Aber wie das Publikum von Warhols Sleep von 1963 - ein 5 1/2 Stunden-Film, der nichts als den schlafenden John Giorno zeigt - wird er in einem Zustand von angespannter Ruhe, in der auch das Mädchen gefangen scheint, alleingelassen. Das sanfte Prasseln des Regens, das im Hintergrund zu hören ist, schafft eine Stimmung von Introspektion, während das blaue Feld der zweiten Projektion - die Fehlfarbe eines Videoprojektors - eine Leere signalisiert, die darauf wartet, gefüllt zu werden.
Während Christensen ein ”Suspense” erzeugt und zu narrativer Spekulation einlädt, löst Joachim Koesters Arbeit unseren Zwang, Geschichten zu produzieren aus. Set Up (eine Installation, die Dias, einen Text und ein auf einem Monitor gezeigtes Video anstelle von Videoprojektionen verwendet) besteht aus zwei sich überschneidenden Serien gefundener Schnappschüsse, welche die Diaprojektoren in schnellen 6-Sekunden-Intervallen abfeuern. Koester fängt den Betrachter, ähnlich wie James Camerons Installation für zwei Dia-Karusselle, "Clara and Dario" von 1975, welche die Zuschauer in eine verdrehte Geschichte über eine geplante Reise verwickelt, ein. Trotz der unterschiedlichen Quellen des Bildmaterials - meist pittoreske Aussichten oder lächelnde Urlauber im Ausland - ähneln die abgebildeten Personen langsam einer vage vertrauten Rollenbesetzung. Zudem schafft die schnelle Abfolge der Bilder die Illusion linearer Kohärenz, wie man sie mit Fiktion verbindet; wir beginnen, die nebeneinander gestellten Bilder als eine Sequenz von zusammenhängenden Ereignissen zu lesen - deren Summe eine Geschichte ergeben könnte. Das Verlangen des Betrachters, sich eine mögliche Geschichte zusammenzureimen, wird von einem entsprechend mysteriösen Text unterstützt: "Der Tag wurde auf eine Weise verbracht, die wir uns nur vorstellen können". Ein Video, das Personen in öffentlichen Telefonzellen wie durch eine Überwachungskamera zeigt, sowie ein pulsierender, repetitiver Soundtrack schaffen zusätzlich ein Gefühl von Spannung. Auch wenn Koesters Installation materiell betrachtet ein wenig mehr als die anderen Arbeiten in Leer/Räume: Nothing But Space enthält, so fordert doch jede Arbeit der Ausstellung unsere Vorstellung von Leere heraus. Indem sie durch das projizierte Bild auf Zeit und Raum insistieren, rekonfigurieren diese Arbeiten das Rohmaterial Raum, um eine skulpturale Wirkung aus Nichts zu schaffen. Angesichts einer solchen Leere beginnt der Betrachter, den Raum physisch oder psychologisch zu füllen. So lange jedenfalls, bis alle Projektoren abends abgeschaltet werden und die Ausstellung für die Nacht geschlossen wird. Dann verschwinden die Kunstwerke, lösen sich in Luft auf, lassen eine andere Version von Leere zurück.