new ideas – old tricks
11. May 2001 - 01. June 2001 hartware medien kunst vereinLeitspruch der new economy
Innovationsbereitschaft, technologische Kompetenz und „global playing“ gelten als das Rüstzeug für den Überlebenskampf im 21. Jahrhundert. Beflügelt durch den Zusammenbruch des Sozialismus, jenem „Schönheitsfehler“ aus der Welt von Gestern, verheißen die alten Fortschrittsmythen im neuen Design den unaufhaltsamen Durchbruch in die Welt von Morgen, die scheinbar jedem, der sich nur geschickt anstellt, als individueller Spielplatz grenzenlos zur Verfügung steht. Nicht von der Hand zu weisen ist indes, dass die innovativen Gewänder der Globalisierung zutiefst mit den „bewährten“ Strukturen von Gewalt, Ausbeutung und Ausgrenzung verschränkt sind. Dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung unter der Armutsgrenze lebt ist ebenso eine Folge und bewusste Strategie der ferngesteuerten neuen Märkte wie die daran gekoppelten „Krisenherde“ und Migrationsbewegungen. Letztere werden wiederum von Seiten der zunehmenden Rechtsextremisten in Europa auf verzerrende Weise herbeizitiert, um das Schauermärchen einer angeblich drohenden Überfremdung zu verbreiten. Seitens der vermeintlich gemäßigten politischen Liga finden diese alten neuen Formen des offenen Rassismus dann schließlich ihren Widerhall in Slogans wie „Kinder statt Inder“ oder „Ausländer die uns nützen, nicht ausnützen.“
Die Ausstellung „new ideas – old tricks“ stellte künstlerische Ansätze vor, die den fortschrittsfixierten Gesängen im Zeitalter der „radikalen Harmlosigkeit“ kritisch begegnen und sich mit den alten wie neuen, individuellen wie kollektiven Mustern der Gewalt, Unterdrückung, Kontrolle und Ausgrenzung auseinandersetzen.
Dabei ging es auch um eine Reflexion der unterschiedlichen Strategien, der Möglichkeiten und Grenzen sowie der „alten“ und „neuen“ Formen einer widerständigen Praxis in der zeitgenössischen Kunst. Bewusst berücksichtigte die Ausstellung daher nicht nur unterschiedliche künstlerische Medien und Formate wie die Fotografie, Buchpublikationen, den Dokumentarfilm, die Karikatur, die Videoinstallation oder das Internet, sondern auch verschiedene ästhetische und konzeptuelle Ansätze. Durch die Wechselwirkungen zwischen Arbeiten wie Harun Farockis agitatorischen Film „Nicht löschbares Feuer“ von 1969, Daniel García Andújars Projekt „phoney“, das die Sprache und Ästhetik der IT-Branche im Sinne einer Aneignung von Machtdiskursen imitiert, oder Jörg Schlicks Konzept der „schwarzen Ausgabe“ der Camera Austria, das sich auf offensive Weise einer unmittelbaren Reaktion auf den legitimierten Rechtsextremismus in Österreich verweigert, sollte ein heterogenes Bild divergierender künstlerischer Strategien der politischen Stellungnahme entstehen.
In ihrer kritischen Beleuchtung der „schönen neuen Welt“ setzte die Ausstellung bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus an. Sowohl die Buchpublikation „PLAN“ von Bettina Lockemann und Elisabeth Neudörfl als auch Romuald Karmakars dreistündiger Film „Das Himmler-Projekt“ fokussierten dabei bewusst die Seite der „Täter“. Weitere Themenfelder der Ausstellung bezogen sich auf die Folgen des Apartheidregimes in Südafrika, den westlichen, ethnografisch geprägten Blick auf „fremde Kulturen“, die Verschränkungen der Interessen von Wirtschaft, Wissenschaft und Militär bei der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, die Kontroll- und Ausgrenzungsmechanismen der neuen Technologien sowie die Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen des globalisierten Kapitalismus und seiner ungeschriebenen Gesetze des Fressen und Gefressen werden.
Begleitet wurde die Ausstellung „new ideas – old tricks“ durch das dreitägige Dokumentarfilmprogramm passengers, das sich mit der Frage nach den verschobenen Grenzen in der globalisierten Welt beschäftigte und von den GastkuratorInnen Gudrun Sommer und Mark Stöhr zusammengestellt wurde.
Nachtrag
Als die Ausstellung „new ideas – old tricks“ stattfand, soll die Welt noch in Ordnung gewesen sein. Die Aufregungen um die Schüssel-Haider Koalition waren zumindest auf breiter medialer und diplomatischer Ebene abgeklungen, der Wahlsieg des Rechtspopulisten Silvio Berlusconi, Herrscher über ein unvergleichliches Medienimperium, wurde mehr oder weniger achselzuckend hingenommen. Hatte der FPÖ-Sieg noch vorübergehend zu einer politischen Isolation Österreichs geführt, so schien nicht der geringste Zweifel daran zu bestehen, Berlusconi den G7/G8 Gipfel Ende Juli in Genua ausrichten zu lassen: jene Zusammenkunft von acht demokratisch gewählten Volksvertretern, die für einige Tage das Hafenstädtchen Genua in eine bis auf die Zähne bewaffnete Festung verwandelte. Verfassungsrechte der „westlichen Zivilisation“ wie das Versammlungsrecht, die Bewegungs- und auch die, der globalisierten Welt so heilige, Reisefreiheit wurden kurzerhand aufgehoben. Die Stadt war durch hohe Mauern in eine gelbe und rote Zone aufgeteilt, militärisch bewachte Bannmeilen waren eingerichtet, Bahnhöfe und der Flughafen gesperrt sowie Luftabwehrraketen bereit gestellt worden, denn: „Osama bin Laden, der neue Feind des Westens, soll angeblich gedroht haben, Genua aus der Luft zu attackieren“ (Ulrich Ladurner in Die Zeit, 30/2001).
Auf brutalste Weise gingen die „Rechtskräfte“ gegen die 50.000 – 300.000 DemonstrantInnen vor, die spätestens seit Seattle und Göteborg allesamt „Globalisierungsgegner“ genannt werden, Hunderte Verletzte und Schwerverletzte gab es und einen Toten: „Bedauerlich“, hieß es dazu später aus den Kreisen der Volksvertreter.
Fast parallel zum G7/G8 Gipfel in Genua sollte auf der Klimaschutz-Konferenz in Bonn das so genannte Kyoto-Protokoll beschlossen werden. Die USA, eine Nation, die bekanntlich ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen erzeugt, verweigerte sich strikt der Unterzeichnung des Abkommens – zur Sicherung der heimischen Märkte, insbesondere der Ölindustrie. „Bedauerlich“, hieß es erneut.
Auf der Anti-Rassismus-Konferenz wenig später in Durban (Südafrika) lehnten es Europa und die USA ab, Sklaverei und Kolonialismus als „Verbrechen gegen die Menschheit“ anzuerkennen, da man befürchtete, daraus könnten sich Entschädigungsforderungen ableiten lassen. Das wäre dann wohl als extrem bedauerlich empfunden worden.
Die „westliche Zivilisation“ konnte sich wieder einmal behaupten, die Welt war nach wie vor im Lot: trotz ca. 30 Millionen Hungertoten und ca. 800 Millionen unterernährten Menschen pro Jahr, trotz der Tatsache, dass 52 der 100 größten Ökonomien weltweit von Konzernen betrieben werden, die, dank der neoliberalen Freihandelspolitik, Lohnkosten, Umweltauflagen und Steuerabgaben niedrig halten können, trotz des Umstandes, dass der Besitz der drei reichsten Männer der Welt (allesamt US-Amerikaner) mehr als die Hälfte des Besitzes der ärmsten Länder zusammengenommen ausmacht, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht nur zwischen der so genannten Ersten und Dritten Welt, sondern auch innerhalb der „westlichen Zivilisation“ immer größer wird, trotz des zunehmenden politischen Rechtsextremismus in den Industrienationen, trotz 46 weltweiter kriegerischer Konflikte im Jahr 2001 mit schätzungsweise über 7 Millionen Toten – die meisten davon ZivilistInnen – und einer vielfach höheren Zahl an Verwundeten, Vertriebenen und Flüchtlingen. Kriege und kriegerische Konflikte, die nicht zufällig zu 90% die Bevölkerungen armer Länder betreffen.
Doch erst am elften September des Jahres 2001 soll die Welt aus heiterem Himmel unwiederbringlich aus den Fugen geraten sein, habe ein perfider Angriff die „gesamte freie Welt“, die „gesamte zivilisierte Welt“, die „Demokratie schlechthin“ getroffen. Seither sei nichts mehr so, wie es vorher war…schön wär’s!
Iris Dressler
Förderer und Kooperationspartner
Ein Projekt
in Kooperation mit dem Kulturbüro Stadt Dortmund
KuratorInnen
Hans D. Christ, Iris Dressler
Presse und Koordination
Mark Stöhr
Technische Leitung
Hans D. Christ, Uwe Gorski
Support
Kulturbüro Stadt Dortmund
Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NRW
Auswärtiges Amt
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