games. Computerspiele von KünstlerInnen
11. Oktober 2003 - 30. November 2003 PHOENIX HalleAb Oktober 2003 bis Ende 2004 finden die Ausstellungen und Veranstaltungen des hartware medien kunst vereins im ehemaligen Reserveteillager des stillgelegten Hochofengeländes Phoenix West statt, das sich in Dortmund-Hörde befindet. Die jüngst sanierte und ca. 2000 qm umfassende Halle ist ein neuer, multifunktionaler Standort des dortmund-projects, das sich unter anderem der Erschließung von Phoenix West für die neuen Wirtschaftszweige widmet.
Den Auftakt macht vom 11. Oktober bis 30. November 2003 die Ausstellung games. Computerspiele von KünstlerInnen, die der Medienkunstwissenschaftler Tilman Baumgärtel (Berlin) in Zusammenarbeit mit dem hartware medien kunst verein entwickelt hat.
Gezeigt werden ca. 25 Arbeiten von internationalen KünstlerInnen, die kommerzielle Computerspiele - von "Pong", "Jet Set Willy" oder "Super Mario" bis hin zu "Tetris", "Quake" oder "Counter Strike" - auf unterschiedliche Weise modifiziert, das heißt in deren Bildästhetiken und Funktionsweisen eingegriffen haben. Neben Arbeiten, die an Computern oder Konsolen gespielt werden können, umfasst die Ausstellung auch Installationen, Videos, Objekte und grafische Arbeiten.
Veranstalter der Ausstellung ist der hartware medien kunst verein im Verbund mit dem medien_kunst_netz dortmund und in Kooperation mit dem dortmund-project sowie der LEG NRW. Hauptförderer sind die Kulturstiftung des Bundes, das Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NRW und das Kulturbüro Stadt Dortmund.
Einige der in der Ausstellung vertretenen Werke werden am Sonntag, den 12. Oktober dem Publikum im Rahmen von Präsentationen der KünstlerInnen vorgestellt.
Desweiteren finden im Kontext der Ausstellung ein Workshop für Kinder und Jugendliche statt, den der Künstler Olaf Val (Köln) leitet, sowie ein Film- + Vortragsprogramm (21. - 23. November), das an der Frage nach dem Verhältnis von Computerspiel und Film ansetzt. Auch eine LAN-Party ist geplant, die hartware in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Gamer-Community organisiert.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einer Dokumentation der gezeigten Projekte und theoretischen Texten zum Thema.
Konzept
Die Ausstellung games möchte einen Überblick über die verschiedenen Strategien der künstlerischen Aneignung und Modifikation bestehender Computerspiele geben. Sie widmet sich damit einer Auseinandersetzung, die in der jüngeren Medienkunstszene bereits seit einigen Jahren intensiv geführt wird.
Alle in der Ausstellung vertretenen Arbeiten setzen bei einem konstruktiven statt nur reaktiven Umgang mit den Hard- und Softwareprodukten der expandierenden Computerspielindustrie an. Die KünstlerInnen greifen vorgefundene Standards auf, demontieren sie aber zugleich in einer subversiven Geste und unterziehen sie einer Neubewertung. Aufgegriffen wird dabei auch ein Trend, der sich längst in der Gamerkultur etabliert hat, seitdem einige Hersteller Editoren mitliefern, mit deren Hilfe sich die standardisierten Spieldesigns nach eigenen Wünschen verändern lassen.
Das Spektrum der in der Ausstellung präsentierten künstlerischen Verfahren reicht vom Eingriff in die Programmiercodes über die Manipulation der Hardware bis hin zur "Übersetzung" von digitalen Spielszenen und -motiven in die Sprache analoger Bildmedien: wie zum Beispiel Norbert Bayer alias Mr. Ministeck, der Ikonen des Computerspiels in "Ministeck-Mosaiken" überträgt.
Es werden Arbeiten gezeigt, die an Konsolen oder Computern spielbar sind, ebenso wie interaktive Installationen, Videos und grafische Arbeiten.
Förderer und Kooperationspartner
Ein Projekt des
hartware medien kunst verein +
medien_kunst_netz dortmund
In Kooperation mit
dortmund-project +
LEG - Landesentwicklungsgesellschaft NRW GmbH
Konzept und Idee
Tilman Baumgärtel
KuratorInnen
Tilman Baumgärtel, Hans D. Christ, Iris Dressler
Gefördert durch
Kulturstiftung des Bundes
Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NRW
Kulturbüro Stadt Dortmund
LAG Soziokultur NRW
The British Council
Fonds Soziokultur (Rahmenprogramm)
Heinrich Böll-Stiftung NRW (Rahmenprogramm)
Internationale Kurzfilmtage Oberhausen (Rahmenprogramm)
Mit freundlicher Unterstützung von
DEW, Dortmunder Energie und Wasser
Haubner, Siebdruck Atelier
Werke
Julien Alma/ Laurent Hart (FR), Borderland, 2001
„Borderland“ orientiert sich an Videospiel-Duellen wie „Tekken“ oder „Mortal Kombat“. Während es bei diesen Spielen meist Superhelden oder Pop-Ikonen wie der Shaolin oder der Pro-Wrestler sind, die aufeinander losgehen, haben Laurent Hart und Julien Alma für ihre liebevoll produzierte, detailreiche CD-ROM-Arbeit ganz normale Leute als Spielfiguren eingesetzt: alte Damen, Penner, Handwerker, weiße und schwarze Teenager – ganz durchschnittliche Charaktere, die vor dem Hintergrund der - wie ein verwahrlostes Niemandsland wirkenden - Pariser Banlieu zum Kampf aufeinander treffen. 55 Spielfiguren können vor 280 Hintergründen – wie Müllabladestellen, Parkplätzen und Baustellen – gegeneinander kämpfen. Während dieses Setting die postapokalyptischen Szenarios vieler Computerspiele aufgreift, wirken die Spielfiguren wie ein ironischer Kommentar auf die immer gleichen Muskel bepackten Übermenschen, die in solchen Spielen üblicherweise auftreten. Gleichzeitig scheint unter der humoristischen Oberfläche ein Bild von einer Gesellschaft durch, die vom Kampf aller gegen alle bestimmt ist – und seien es kleine Mädchen mit Zöpfen gegen Geschäftsleute mit Aktentasche.
(Tilman Baumgärtel)
Cory Arcangel (US), Super Mario Clouds, 2002
http://www.beigerecords.com/cory/21c/21c.html
„Super Mario Clouds“ basiert auf dem Spiel „Super Mario“ für die NES-Spielkonsole von Nintendo. Cory Arcangel hat das Spiel gehackt und so bearbeitet, dass von dem Spiel nur die weißen Wolken vor einem blauen Himmel übrig geblieben sind. Die Hauptfigur Super Mario, die bei dem „Jump and Run“-Spiel durch ein Labyrinth gelenkt werden muss, ist genauso verschwunden, wie die Hindernisse, Landschaften und Gegner, die dem Spiel seine narrative Struktur geben. Wer das Spiel kennt, kann sie auf den leeren Hintergrund imaginieren, alle anderen Betrachter sehen sich der Cartoon-haften Darstellung eines Himmels gegenüber. Die Arbeit entstand aus einer Intervention in Hardware und Software zugleich. Cory Arcangle musste die Cartridge, auf der das Spiel gespeichert ist, öffnen und den Nintendo-Grafikchip durch einen Chip ersetzten, auf den er ein selbst geschriebenes Programm gebrannt hat. Cory Arcangle gehört zum Beige Programming Ensemble, das die Hackerethik der Intervention in vorgegebene Technologie zum künstlerischen Programm gemacht hat und dabei die Modifikation von historischer Technologie zu absurden Extremen treibt: Die Gruppe veröffentlichte u.a. auf Schallplatte gepresste Computer-Programme und organisiert einen jährlichen Wettbewerb für „Cassetten-Diskjockeys“.
(Tilman Baumgärtel)
Tom Betts (UK), qqq, 2002
http://www.nullpointer.co.uk
Die „Quake“-Modifikation „qqq“ setzt bei der mit fotorealistischer Präzision simulierten Räumlichkeit neuerer Computerspiele an. Die immer detailgenauere 3D-Animation dieser Spiele erzeugt eine Raumillusion, die sie zu faszinierenden, in sich abgeschlossenen Parallelwelten macht.
Durch die Manipulation des Grafik-Engines von „Quake“ durchbricht und dynamisiert Betts die als hermetisch wahrgenommenen Oberflächen der Spielarchitektur und verwandelt sie in frei bewegliche grafische Elemente und fließende Farbflächen, die sich zu immer neuen abstrakten Mustern zusammenfügen. „qqq“ wird als Installation präsentiert und kann im Ausstellungsraum online gespielt werden. Dadurch ist die Arbeit zugleich mit den Aktionen anderer „Quake“-Spieler im Netz verschränkt, die ihrerseits das Spielgeschehen und damit auch die Dekonstruktion der grafischen Oberflächen beeinflussen. Die Arbeit erhält so eine performative Dimension, die sie über den Ausstellungsraum hinaus verlängert.
(Katrin Mundt)
Pash Buzari (DE), modificazione ps1, 2000
Ein fünfminütiger Videoloop und eine Serie von Fotografien
sind die Bestandteile der Installation „ modificazione ps1“ von Pash Buzari. Betrachtet man nur das Video, sieht man zuerst zwei l-förmige Konstruktionen. Sie bewegen sich vor einem Hintergrund, der wie eine von hinten durchleuchtete
Jalousie aussieht. In einer farbverzerrten und unscharfen Episode aus dem Konsolenspiel Whipeout bewegt sich ein Flugobjekt über eine virtuelle Landschaft. Ein Motiv von drei unscharfen Körpern, wie ein Bild des Malers Rothko taucht auf. Der Fokus schärft die Form zu drei kantigen Blöcken. Sie geraten in Bewegung, drehen sich einmal um die eigene Achse. Es folgen noch einmal die Konstruktionen vom Beginn, nun ganz schwarz gefärbt. Sie rutschen vor einem leicht gewölbten Schachbrettmuster hin und her. Dann setzt der Loop ein. Eine Lampe wirft Licht auf die Fotografien. Einige zeigen Bauten, die an das Bauhaus erinnern: einen Hangar von Jean Prouvé, ein russisches Versuchslabor aus den zwanziger Jahren. Daneben ein Luftfoto von Ackerflächen, die sich in einer weiten Ebene zu einem Schachbrettmuster anordnen, und der Abdruck eines Gemäldes nach einem
Interferenzmuster,
Die Fotos erklären den Film nicht. Sondern beide, der Film und die Fotos spannen eine Klammer um das große Thema dazwischen. In welchen Formen bewegen wir uns? Was sind die Konstruktionen und die Baupläne, die die künstlichen Objekte unserer Welt erzeugen? Wie zeigen sie sich an der Oberfläche? Die zackigen Formen des virtuellen Raumgleiters und die glatte Aluminiumhülle eines Hangars sollen auf dasselbe hinaus. Wo etwas konstruiert wird, liegt eine berechnete Welt vor, die über die Dinge ihr Muster aus Koordinaten, Linien und Rastern spannt. Die Berechnungen hinter den Dingen sind dazu da, mit der Wirklichkeit einer Bewegung verwechselt zu werden.
(Stefan Heidenreich)
Leon Cmielewski / Josephine Starrs (AU), Bio-Tek Kitchen, 1999
http://www.sysx.org/leon/mirror/biotek/index.html
Die Arbeit „Bio-Tek Kitchen“ (1999) des australischen Künstlerduos Leon Cmielewski und Josephine Starrs basiert auf dem Ego-Shooter Spiel „Marathon Infinity“. Durch Eingriffe in die Software modifizierten die KünstlerInnen dessen Spieloberfläche, so dass sich die SpielerInnen nun nicht mehr in der martialisch-futuristischen Umgebung des Originals befinden, sondern in der gentechnologischen Küche eines Hobby-Laboranten. Statt blutrünstiger Gegner treten die SpielerInnen gegen genetisch manipuliertes und mutiertes Gemüse an, das sich als Teil einer weltweiten Verschwörung zur Übernahme der gesamten Nahrungskette entpuppt. Als Waffen dienen ihnen dabei Putzlappen und Küchenutensilien. Nur der Sound, die Spielstruktur sowie einige wenige grafische Elemente (z.B. der Scorebalken) verweisen noch auf das Originalspiel. Cmielewski und Starrs demonstrieren eine Mischung aus Skeptizismuns, Ironie und Enthusiasmus gegenüber den spielerischen Möglichkeiten neuer Technologien. Mit ihrer Modifikation eines aktuellen Game-Interfaces gelingt den KünstlerInnen eine Persiflage auf das gesamte Genre. Gleichzeitig nehmen sie eine Umwertung der Game-typischen Horrorszenarien vor, indem sie darauf anspielen, was durch menschliche Manipulation alles außer Kontrolle geraten kann.
(Silke Albrecht)
Arcangel Constantini (MX), Atari-Noise, 2000
http://www.atari-noise.com
Der „Atari 2600“ war eine der erfolgreichsten Spielkonsolen aller Zeiten. Das Gerät, das 1977 auf den Markt kam, war eine der erste Game-Maschinen, mit der man nicht nur ein einprogrammiertes Spiel (wie z.B. „Pong“) spielen konnte, sondern für das immer neue Spiele auf Cartridges angeboten wurden. 25 Millionen Geräte sollen bis 1991 verkauft worden sein. Arcangel Constantini hat das antiquierten Spielgerät, das man heute für wenig Geld auf dem Flohmarkt kaufen kann, gehackt und zu einem „audiovisual noise pattern generator keyboard“ (Constantini) umgebaut. Der Künstler hat einige Elemente der Spielkonsole so miteinander kurzgeschlossen, dass der User durch Knopfdruck chaotisch verzerrte Bilder erzeugt, die mit dem ursprünglichen Computerspiel-Interface etwa so viel zu tun haben wie der Klang einer Gitarrensaite mit einem Feedback-Solo von Jimi Hendrix. Diese Dekonstruktion von „visuellem Rohstoff“ steht nicht nur in einer langen, modernistischen Tradition der Verfremdung und Modifikation vorgefundener Bilder, sondern verweist auch auf eine der wichtigsten Arbeiten der Medienkunst: dem „Videosynthesizer“ (1972) von Nam June Paik. Während Paik seinerzeit den Techniker Shuya Abe engagieren musste, um eine Maschine zu entwickeln, mit der man bewegte Bilder in Echtzeit manipulieren konnte, reflektiert „Atari Noise“ eine Medienkultur, in der die dafür erforderliche Hardware als Elektroschrott angeboten wird.
(Tilman Baumgärtel)
Vuk Cosic (SI), The ASCII Unreal, 1999
http://www.ljudmila.org/%7Evuk/ascii/unreal
Vuk Cosic hat für sein Level von „Unreal“ alle gegenständlichen Elemente des dreidimensionalen Raums entfernt und durch Flächen ersetzt, die aus Buchstaben des kyrillischen Alphabets bestehen. Die Arbeit, die für die Ausstellung „Synreal“ des Wiener Medienkunstprojekts T0 entstanden ist, führt so den Perfektionismus ad absurdum, mit dem in den meisten Ego-Shooter-Spielen räumliche Wirklichkeit simuliert wird. Gleichzeitig konfrontiert er die High-End-Computergrafiken der Gegenwart mit der Geschichte der Rechner-Bildschirmdarstellung: Bis in die 1990er Jahre hinein waren Rechner der Standard, deren Interface sich auf grüne Buchstaben auf schwarzen Grund beschränkte. Als Mitglied des ASCII Art Ensemble (zusammen mit Walter van der Cruijsen und Luka Frelih) entwickelte er Ende der 1990er Jahre Arbeiten, die bewegte und stehende Bilder in Buchstaben-Wüsten verwandelten (ASCII ist der Standard-Zeichensatz für Computer). Sie überführten damit eine Hacker-Praxis in die Kunstszene, die aus der Zeit stammte, als Computer noch keine visuellen Interfaces boten, und verknüpften diese mit einer bis in die Antike zurückreichende Tradition von Schriftbildern und visueller oder „konkreter“ Poesie.
(Tilman Baumgärtel)
Aurélien Froment (FR), Fury, 1998-2000
Die Videoarbeit „Fury“ von Aurélien Froment ist nicht vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit dem Genre Computerspiel sondern mit dem Action-Film entstanden. Wir werden Zeugen einer Kampfhandlung, die sich in einer leer geräumten Lagerhalle abspielt. Es ist bereits Blut geflossen und einige der „harten Jungs“ sind zu Boden gegangen. Die anderen stehen sich mit unmissverständlichen Gesten und Minen der Angriffslust gegenüber. Doch die Szene ist erstarrt, aufgehoben in jenem Augenblick höchster Anspannung, kurz bevor sich die nächste Salve des Gemetzels vor unseren Augen in sekundenschnelle abspielen wird. Die Kamera fährt um die still gestellten Akteure herum. Einem schwerelosen Auge gleich, durchquert und umzingelt sie die Kämpfenden, die in ihrer Versteifung wie tumbe Comicfiguren wirken. Nur durch einen gelegentlichen Lidschlag oder eine minimalste Bewegung ist zu erkennen, dass die Kerle „echt“ sind, sich zu einem „tableau vivant“ gruppiert haben. Auch wenn hier ganz offensichtlich die Sprache des Action-Films untersucht wird, so findet in „Fury“ doch ein entscheidender, das Kino längst prägender, Perspektivwechsel zwischen Film und Computerspiel statt: indem die BetrachterInnen, in der illusionären Identifikation mit dem Kameraauge, scheinbar selbständig durch die Szene navigieren. Umgekehrt haben sich Spiele wie „Max Payne“ der Bildsprache von Actionfilmen, wie sie in „Fury“ fokussiert wird, bedient.
(Iris Dressler)
fuchs-eckermann (AT/UK), fluID - arena of identities, 2003
http://www.t0.or.at/~fuchs-eckermann
Die installativ präsentierte Arbeit ist ein umgestalteter Level des Multiuser Games Unreal Tournament. Sie fokussiert die Flexibilität von Identitäten im Computerspiel und das Verhältnis von SpielerIn und Figur. Das vollständige Zusammenfallen von beiden, das eine der Voraussetzungen für die Immersion in die Welt des Spiels ist, wird hier zum inhaltlich bestimmenden Moment der Handlung.
Die UserInnen verfügen zu Beginn des Spiels über keinerlei differenzierenden Merkmale (wie Gesicht, Geschlecht oder Kleider) und sind vor die Aufgabe gestellt, sich in dessen Verlauf eine Identität zu erschaffen. An Orten wie dem „Fluss des ständigen Wandels“, dem „See des Narziss“ oder im „Style-Laboratorium“ können sich die SpielerInnen mit individuellen Merkmalen ausstatten, sich spiegeln oder replizieren. Sie können aber auch ihre Identität verlieren, wenn sie etwa der Versuchung narzisstischer
Selbstbespiegelung nicht widerstehen können. Hilfsmittel wie die „fluID SkinGun“ ermöglichen es den SpielerInnen außerdem, fremde Identitäten zu rauben. Das gewählte Selbst wird so in der Begegnung mit anderen und dem eigenen Selbst-Bild behauptet, ausgehandelt und streitig gemacht. „fluiID - arena of identities“ wurde als Auftragsarbeit für Selfware, eine Veranstaltungsreihe im Rahmen von graz03, konzipiert.
(Katrin Mundt)
Beate Geissler und Oliver Sann (DE), Shooter (2000 - 2001)
http://www.autokill.org/shooter/
Die zweiteilige Arbeit „Shooter“ des Künstlerduos Geissler und Sann besteht aus einer Video- und Fotodokumentation von LAN Parties, die die Künstler im Zeitraum von anderthalb Jahren in ihrem Atelier veranstaltet haben. Sowohl die Videosequenzen als auch die Fotodokumentationen zeigen die SpielerInnen mit immer gleicher Kamera-Einstellung in Frontalansicht und vor einem neutralen Hintergrund.
Das Video, das in der Ausstellung zu sehen ist, beobachtet die SpielerInnen während einer Kampfszene, das heißt, während sie ihren – im selben Raum sitzenden Gegner – in der virtuellen Welt des Netzwerkes töten bzw. von diesem getötet werden. Gezeigt werden Momente höchster Konzentration einer zeitbegrenzten Spannung, die von einer inneren Dramatik geprägt ist. „Der Betrachter wird … Zeuge eines Spiels auf Leben und Tod ohne Folgen“, so die Künstler. „Shooter“ stellt eine Versuchsanordnung dar, das menschliche Verhältnis zu realen und virtuellen Räumen und die damit verbundene Mimik zu analysieren. Gleichzeitig fragen die Künstler nach der Funktion des realen Körpers und des Spiels mit Identitäten in Bezug auf neue Technologien.
Auf der eigens eingerichteten Website gibt es neben einer Dokumentation auch ein Gästebuch, in dem die portraitierten SpielerInnen ihre Kommentare hinterlassen können.
(Silke Albrecht)
Margarete Jahrmann / Max Moswitzer, LinX3D, 1999
http://linx3d.konsum.net
Über die Schnittstelle einer Konsole, die den frühen Arcade Games nachempfundenen ist, verknüpft das Multiuserspiel LinX3D die daran Spielenden mit jenen TeilnehmerInnen, die sich online einloggen können. Die SpielerInnen an der Konsole werden durch eine Überwachungskamera aufgenommen und live, in Form von „ASCII-Faces“, in die 3D-Umgebung des Spieles integriert. Die Online-SpielerInnen dagegen erscheinen als ASCII logfiles (Netzprotokolle). Alleine oder gemeinsam können die online und die onsite TeilnehmerInnen die verschiedenen Ebenen des 3D Spiels erobern, die, ebenfalls als Text repräsentiert, auf einer Geschichte des „Techgnosis“ Autors Erik Davis basieren.
In LinX3D werden verschiedene Parameter der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien reflektiert. So wird zum Beispiel der Hyperrealismus ausgereifter 3D Spiele, der den UserInnen hohe und schnelle Rechnerleistungen abverlangt, symbolisch, durch dessen „Einkleidung“ in die Texturen des weitaus ökonomischer konzipierten ASCII-Codes, in Frage gestellt. Auch problematisiert das Spiel die Selbstrepräsentation im Netz, indem es die Figur des scheinbar anonymisierenden Avatars zum offenen Buch des individuellen Netzverhaltens werden lässt und das Netzprotokoll dem Überwachungskamerabild gleichsetzt.
(Iris Dessler)
Jodi (ES), Jet Set Willy Variations c1984, 2001-2002
http://jetsetwilly.jodi.org
„Jet Set Willy“ besteht aus zehn Variationen des Computerspiels „Jet Set Willy“, das in den 1980er Jahren für einen der ersten Homecomputer, den Sinclair ZX Spectrum, auf den Markt kam. Der Code wurde so modifiziert, dass zwar die grundlegenden Spielfunktionen erhalten bleiben, die Bildschirmgrafiken jedoch häufig an abstrakte Malerei von Künstlern wie Mondrian oder Peter Halley erinnert. Andere Variationen integrieren Elemente des Computercodes. „Jet Set Willy“, das in der Ausstellung ausgespielt auf DVD als nicht interaktive Version gezeigt wird, ist die dritte Arbeit von Jodi, die sich mit einem Computerspiel auseinander setzt. Während „SOD“ und „Untitled Game“ auf relativ aktuellen Spielen aus den 1990er Jahren basiert, wendet sich „Jet Set Willy“ der Geschichte der Games zu. Die Arbeit ist in der inzwischen vom Aussterben bedrohten Programmiersprache BASIC geschrieben. „Jet Set Willy“ ist auch Jodis Hommage an die Kultur der Hobby-Spieleprogrammierer der 1980er Jahre, bei der vorwiegend Teenager auf den ersten Homecomputern im Alleingang Spiele samt Musik und Grafik entwickelten und die eins der besten Beispiele für die libertäre Do-It-Yourself-Ethik der frühen Computer-Subkultur darstellt, die eine wichtige Grundlage für die Arbeit von Jodi ist.
(Tilman Baumgärtel)
Jodi (ES), SOD, 1999
http://sod.jodi.org
Jodi gehörte zu den ersten Künstlern, die Computerspiele als Gegenstand künstlerischer Manipulationen „entdeckt“ haben: Bereits 1997 nutzte das Künstlerpaar, das ursprünglich durch seine Arbeit im Internet bekannt wurde, die Möglichkeit, das Ballerspiel „Quake“ zu modifizieren, indem es die dreidimensionalen Räume des Spiels in weißes Rauschen überführte. Durch ihre Dekonstruktionen machen Jodi deutlich, dass der Code der Systeme die aktuellste Manifestation der normativen Macht des Faktischen ist. Auch bei „SOD“ haben Jodi alle darstellenden Elemente aus dem Spiel „Wolfenstein 3-D“ entfernt und nichts übrig gelassen als Schemen und schwarze Quadrate. Das Game, das – wie „Quake“ – von der für ihre brutalen Ego-Shooter bekannten US-Firma „ID Software“ stammt, sieht nun aus wie ein animiertes Op-Art-Bild, in dem man selbst herumstreifen kann. Damit trafen die Radikalbehandlungen ausgerechnet ein Spiel, dessen jeweilige Originalversionen – mit seinen Nazischergen und Hakenkreuzen sowie seiner Gewalttätigkeit – gerade in Deutschland hitzige Debatten über das, was auf Computermonitoren erlaubt sein darf, ausgelöst hatten.
(Tilman Baumgärtel)
Joan Leandre (ES), retroYou nostalG, 2003
http://www.retroyou.org
"retroYou nostalG" basiert auf einem handelsüblichen Flugsimulator, dessen grafische Oberfläche und Funktionsweisen mit dem Spiel-eigenen Editor radikal modifiziert wurden. Die für die Navigation und räumliche Orientierung grundlegenden Parameter, von der Reliefstruktur der Erdoberfläche über die Gesetzmäßigkeiten der Schwerkraft bis hin zu den Steuerungsfunktionen der Instrumente, sind weit gehend außer Kraft gesetzt, so dass eine strukturierte Erfassung von Raum und die Fortbewegung darin praktisch unmöglich sind.
Joan Leandre frustriert damit eine Erwartungshaltung, die das Zustandekommen sinnvoller Interaktion mit dem Computerspiel als selbstverständlich voraussetzt. In einem zweiten Schritt fordert er so die UserInnen auf, die scheinbar unsinnige Funktionsweise der Maschine zu entschlüsseln und sie sich, soweit möglich, anzueignen - sei es durch systematische Erforschung oder trial and error. Zugleich erschüttert die Manipulation der räumlichen Struktur dieses Spiels das illusionistische Potential 3D-animierter Computerspielwelten und damit das naive Vertrauen in deren Wirklichkeitsreferenz.
(Katrin Mundt)
Mister Ministeck Norbert Bayer (DE)
http://www.misterministeck.de
Norbert Bayers künstlerisches Material sind jene bunten Plastiksteinchen aus dem Hause Ministeck, die sich – in Steckplatten gepresst – vor allem in den 1970er und 1980er Jahren generationsübergreifend einer großen Beliebtheit erfreuten. Frei nach dem Motto „Jeder Mensch ein Künstler“ wurde die Tatsache der künstlerischen Unfreiheit im Nachstecken vorgegebener Motive ignoriert. Dieses Prinzip macht sich Mister Ministeck zu Eigen: seine Vorlagen sind dabei zum Großteil Icons aus der Welt des Computers, deren digitalen Bildpunkte in poppig-bunte Ministeck-Bilder umgesetzt werden. So wird etwa in der Serie „Touchscreens“, die nach Screenshots von C 64-Spielen entstand, die Pixelstruktur der ersten Homecomputer der 1980er Jahre in Plastiksteinchen materialisiert. Indem Bayer den digitalen Bildaufbau der Vorlagen in die analoge Form des Ministecks bringt, führt er beide Bild gebenden Verfahren auf ihre ureigenen Bedingungen und Strukturen zurück.
(Silke Albrecht)
Mongrel / Richard Pierre-Davis (UK), BlackLash, 1998
„BlackLash“ benutzt die gelernten Strukturen von einfachen Ballerspielen, um eine politische Kritik zu formulieren. In dem komplett selbst programmierten Game muss man sich unter anderem gegen Hakenkreuz-geschmückte Spinnen, rassistische Polizisten und Ku Klux Klan-Mitglieder verteidigen. Richard Pierre-Davis ist Mitglied der britischen Künstler-Gruppe Mongrel, die in ihrer Arbeit die multikulturelle Wirklichkeit Großbritanniens reflektiert. In der Gestaltung der verschiedenen Levels lehnt sich die Arbeit an Computerspielklassiker aus den 1970er Jahren an (u.a. „Tempest“ und „Space Invaders“). Die Wahl der Rolle zu Beginn einer Runde bestimmt, welche Wege durch eine „urban warzone“ führen. Da es sich bei den Spielfiguren, die der User auswählen kann, um schwarze Klischeefiguren (wie der „Crime Lord“ oder „Lover“) handelt, ist das Spiel jedoch ambivalenter als es zunächst scheint. Mit einem Soundtrack von Wu-Tang-Clan bemüht sich das Spiel um Akzeptanz bei Jugendlichen. Richard Davis: Das Spiel „zielt auch darauf ab, die schwarze Community durch die Spielkultur zu ermutigen, auch in andere Gebiete jenseits von Musik vorzudringen, und Spiele zu entwickeln, die etwas zu sagen haben.“
(Tilman Baumgärtel)
Volker Morawe / Tilman Reiff (DE), PainStation, 2001
http://www.khm.de/~morawe/painstation/painstation_ger.html
Als Teil des Künstlerkollektivs //////////fur////, haben die beiden Medienkünstler Volker Morawe und Tilman Reiff 2001 die „PainStation“ an der Kunsthochschule für Medien (KHM) in Köln entwickelt. Im Untertitel der Arbeit bezeichnen die Künstler ihr Werk als „Neuzeitliches Duellierungs-Artefakt“, und so scheint es auch nicht länger verwunderlich, dass die Basis der Konsole das „mittelalterliche“ Spiel „Pong“ bildet. Dem Duell gleich, stehen sich zwei GegnerInnen an der Tischkonsole gegenüber, allerdings können sie ihre Waffen nicht selbst wählen, sondern werden je nach Spielverlauf mit drei unterschiedlichen Repressalien konfrontiert: Hitze, Stromschläge oder Peitschenhiebe.
Verfehlt eine(r) der SpielerInnen während des Spiels den Ball, so dass dieser eines der hinter dem „Schläger“ liegenden Pain-Inflictor-Symbols (PIS) berührt, folgt direkt die schmerzhafte Konsequenz des Versagens: je nach Symbol wird die Hand des Verlierers in unterschiedlicher Intensität und Dauer malträtiert. Auf ironisch-subversive Weise entlarven Morawe und Reiff die gängige Spielepraxis als nichts anderes als eine zeitgenössische Duellierungsmethode, in der aus einem virtuellen Spiel schmerzhafte Realität wird.
(Silke Albrecht)
Anne-Marie Schleiner / Brody Condon/ Joan Leandre u.a., Velvet-Strike, 2001
http://www.opensorcery.net/velvet-strike/screenshots.html
„Velvet Strike“ entstand als Reaktion auf die kriegslüsterne und rachsüchtige Atmosphäre, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA herrschte. Die Arbeit ist eine Intervention in das zu dieser Zeit ungeheuer populäre Spiel „Counterstrike“, bei dem die Spieler über ein Netzwerk miteinander verbunden sind und mit paramilitärischen Game-Figuren gegeneinander kämpfen. Der Nahkampf, der das Spiel prägte, hatte mehr als nur eine flüchtige optische Ähnlichkeit mit den Kriegen, die als Reaktion auf die Anschläge erst gegen Afghanistan und dann gegen den Irak geführt wurden, und schnell tauchten in Spielerkreisen erste Modifikationen von „Counterstrike“ mit Osama-Bin-Laden-Figuren und Nahost-Szenarien auf. „Velvet-Strike“ reagierte auf diese plump-propagandistischen Umgestaltungen durch eigene pazifistischen „Sprays„, die von Gamern aus der ganzen Welt über das Internet eingesendet wurden. „Sprays“ sind kleine Grafiken, die man – ähnlich wie Graffiti-Tags – in den „Counterstrike“-Szenarios an die Wand sprühen kann. Die Sprays reichen von simplen „Make-Love-Not-War“-Botschaften bis zu Grafiken, die an die politische Agitation eines John Heartfield erinnern. Sie zeigen, dass auch die scheinbar militärische Logik von Spielen wie „Counterstrike“ nicht gegen subversive Umwidmungen gefeit ist.
(Tilman Baumgärtel)
Jan-Peter E.R. Sonntag (DE), ratio agendi#3 - PONG, 1999-2003
Entwicklung Installation/Hardware/Software: J-P Sonntag, Thomas Plöntzke, Frider Weiß
In „ratio agendi# 3“ ist PONG / Teletennis die Matrix eines interaktiven Handlungssettings. Auf der Spielebene können zwei Personen körperlich, jedoch ohne Berührung, im Realraum miteinander interagieren . Ein Videobeamer projiziert die minimal-artige Bildschirmoberfläche von PONG auf den Boden des Ausstellungsraumes. Das projizierte Feld wird von einem Motiontracking System erfasst. Ein stilisierter Tennis-Schiedsrichterstuhl ist am Spielfeldrand installiert, neben ihm ein Flatscreen, der den Spielstand anzeigt. Die abstrakte Schlichtheit der Bildoberfläche und des Klangs sowie die Bewegungslimitation der beiden, die Akteure repräsentierenden und nur auf einer Achse beweglichen Balken, generieren das physische Spielfeld, auf dem die beiden Personen wie auf einem Tenniscourt mit/gegeneinander spielen können. In dieser nur vermeintlichen Re-Transformation des Tennisspiels unterliegt die körperliche Bewegung der Spieler den Regeln des historischen Videospiels. Die mit zeitgenössischer Technik ermöglichte Erweiterung des Spieleklassikers in den Realraum erlaubt auf Grund der Beibehaltung seiner reduzierten, auf die Chiptechnologie der 1970er Jahre basierenden Ästhetik, nun die Nutzung zweier Raumachsen: jene, die der Balken als räumliche Trennung der Schläger/Spieler-Referenz markiert und jene des realen Spielers im Raum.
(Jan-Peter E.R. Sonntag)
SF Invader (FR), Space Invader, seit 1999
http://www.space-invaders.com
Der „Space Invader“ – eines der erfolgreichsten Arcade Games, das bereits 1978 entwickelt wurde – existiert und schlägt zurück. In Form von Mosaiken aus Keramikkacheln haben sich die pixeligen Aggressoren seit 1999 im öffentlichen Raum zahlreicher Städte in Europa, den USA, Asien und Australien breit gemacht und besetzen dort strategisch wichtige Punkte. Häuserfassaden, Autobahnbrücken und Straßenschilder, der Louvre, die Brooklynbridge und selbst das berühmte Hollywoodsignet wurden befallen.
Ein stets gut getarnter Künstler, der unter dem Pseudonym „SF Invader“ in Aktion tritt, steckt hinter diesen Attacken – oder ist zumindest das Werkzeug der außerirdischen Verschwörung. Auf der Homepage des Invaders illustriert eine Weltkarte das ganze Ausmaß der Invasion. „Protect’em“ wird einem zuvor als Mission angetragen. Them? Müssen nicht wir uns vor dieser Epidemie schützen? Für jede Stadt, die erfolgreich erobert wurde, zeigt das klassische Invader Display die Anzahl der besetzten Orte und den sich daraus resultierende Punktestand an. Akribisch wurde jeder infiltrierte Ort mittels Fotos, Videos, Stadtplänen oder Luftaufnahmen dokumentiert.
Finanziert wird die fremde Macht über Spenden und den Verkauf von Merchandising-Artikeln. T-Shirts, Invasion-Kits, Aufkleber und vieles mehr sollen zugleich die Ausbreitung der Invasion unkontrollierbar machen.
(Iris Dressler)
Thomson & Craighead (UK), Triggerhappy, 1998
http://www.triggerhappy.org
„Triggerhappy“ ist gleichzeitig ein Stück praktizierter post-strukturalistischer Literaturtheorie und ein Kommentar zur Informationsverarbeitung am Computer. Die Arbeit des britischen Künstlerpaars Jon Thomson und Alison Craighead nimmt das klassische Arkadespiel „Space Invaders“ als Ausgangspunkt. Statt wie im Original auf eine sich nähernde, außerirdische Raumflotte zu schießen, richtet man seine Kanone hier allerdings auf Zitate aus dem Essay „Was ist ein Autor?“ von Michel Foucault, welche sich unter den Schüssen langsam auflösen. Der Text, der die Figur des Autors einer kritischen Betrachtung unterzieht, wird so wortwörtlich dekonstruiert. Die Arbeit behandelt Text als ein Stück animierter konkreter Poesie, bei dem die digitale Schrift zu einem grafischen Objekt wird, dessen langsamer Zerfall einen eigenen visuellen Reiz bietet. Das „Feuern“ Klicken ist aber auch eine Metapher für das „Lesen“ im WorldWideWeb, das oft genug ebenfalls im ziellosen Herumklicken im Internet-Hypertext besteht. Die Arbeit, die in der Ausstellung auf einer Videospiel-Konsole gezeigt wird, ist auch im Internet in einer leicht modifizierten Version zu sehen.
(Tilman Baumgärtel)
Olaf Val (DE), SwingUp Games, 2001
„Drei Plastikfolien, die sich als transparente Raumteiler variabel installieren lassen, bilden den Rahmen für drei Computerspiele. Die SpielerIn kann mit der Tastatur den einzigen hellen Lichtpunkt nach rechts und links bewegen. Auf den drei in die Folie eingeschweißten vertikalen Lichterketten bewegen sich nach dem Prinzip eines Lauflichtes schwache Lichtpunkte in immer gleichen Schwingungen auf und ab. Ziel des Spieles ist es, die schwingenden Lichter so geschickt anzusteuern, dass sie den hellen Lichtpunkt ganz nach oben befördern. Die swingUp Games sind so konzipiert, dass sie sich leicht transportieren und installieren lassen... Die swingUp Games sind darauf ausgerichtet, innerhalb eines breiten Publikums als Kommunikationspunkt zu fungieren (...) Die Arbeiten erinnern an die ersten Computerspiele im Pocketformat, die in den 1980er Jahren auf den Markt kamen, und sich bis heute neben Game Boy- und Handyspielen als Billigprodukte halten konnten. In diesen Spielen werden meist Spielstruktur und Spielmotiv unmittelbar mit einander verbunden, indem die Leuchtfelder mit Symbolen versehen sind. In den swingUp Games dagegen wird die Spielstruktur als abstraktes Lichtspiel formal vom Spielmotiv getrennt. Zum Spielmotiv wird die Umgebung, der Hintergrund der transparenten Flächen.“
(Olaf Val)
Yang Zhenzhong (CN), 922 Rice Corns, 1999
Diese Videoarbeit stellt die Frage nach der sensiblen Grenze zwischen „Spiel“ und „Wirklichkeit“. Sie zeigt ein Huhn und einen Hahn beim Aufpicken eines Haufens von Reiskörnern. Eine statische Kamera dokumentiert das Geschehen, während am unteren Bildrand eine digitale Anzeige die wechselnden „Punktestände“ der beiden Tiere und die Gesamtzahl der verzehrten Reiskörner festhält. Parallel dazu sprechen aus dem Off eine männliche und eine weibliche Stimme die Scores der beiden Tiere ein.
Yang Zhenzhong inszeniert eine im Grunde triviale Situation im Modus des Spiels, indem er sie einer quantifizierenden Logik der Konkurrenz von Huhn vs. Hahn unterwirft. Die Rahmung der Situation durch den Kamerablick erzeugt eine Differenz zwischen dem „Spielfeld“ und seinem Außen und definiert so das Spiel überhaupt erst als solches. Diese Konstruktion wird allerdings von den beiden KontrahentInnen selbst durchbrochen, indem sie – völlig „regelwidrig“ - das Spielfeld vorzeitig verlassen, ohne alle Reiskörner verzehrt zu haben. Das Video allerdings besteht auf der Fortführung der vorgegebenen Dramaturgie: Den „Spielverderbern“ zum Trotz wird der noch verbleibende Rest stellvertretend von den beiden Off-Stimmen ausgezählt und im Gesamtpunktestand verbucht.
(Katrin Mundt)
Lars Zumbansen (DE), X and Directional Button UP, 2000-2002
Die Arbeit macht Lara Croft, die Heldin der populären Spielserie „Tomb Raider“, zu einem modernen Sisyphos. In den Videoloops versucht Lara, die in den 1990er Jahren von einer Spielfigur zu einem viel diskutierten Medienphänomen mit eigener Filmreihe geworden ist, wieder und wieder ein Hindernis zu überwinden oder sich auf einen Felsvorsprung hoch zu ziehen. Wieder und wieder rutscht sie ab und muss von vorne beginnen. Der kryptische Titel „X and Directional Button UP“ erklärt die Entstehungsweise der Arbeit: Lars Zumbansen hat die Bedienungsknöpfe „X“ und „UP“ des Controllers der Spielkonsole Playstation so mit einer Schraubzwinge arretiert, dass die virtuelle Marionette Lara immer wieder an der Barriere vor ihr scheitern muss. Die Arbeit stellt damit genau das Moment des Versagens, das der Spieler gerade zu vermeiden versucht, in den Mittelpunkt, und lässt so die lineare Ordnung des Spiels in einem ans Meditative grenzende Zirkelschluss münden. Lars Zumbansen: „Die öffentliche Wahrnehmung richtet sich... auf die Ikonizität, die ‚Weiblichkeit’ signifizierende Oberfläche Laras... Die repetative Handlungsfolge und die (titanenhafte) Unermüdlichkeit der Protagonistin legen unter der anthropomorphen Fassade jedoch das automatenhafte Wesen der Computerspiel-Ikone frei.“
(Tilman Baumgärtel)
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